Träge zogen die goldenen Schlieren quer über den nachtschwarzen Himmel und nicht zum ersten Mal fragte das Mädchen sich, ob es sich dabei wohl um Licht, Energie oder Magie handelte. Zerbrochen war die Welt um sie herum, in Scherben gelegt, was ihr auch ihren Namen verliehen hatte. Dennoch war der Himmel - betrachtet mit Kinderaugen - ein einzigartig schönes Spektakel. Wie kleine Diamanten waren die Sterne auf den dunklen Samt gestreut, in den Schatten gestellt durch das pulsierende Licht einer nahen Sonne, die jedoch nicht wirklich Licht spenden konnte. Im Spektrum von rot, violett und blau vervollkommneten Monde das Bild, zogen den Blick eines jeden an, der dies nicht alle Tage sehen konnte. Ein Fakt, der durchaus auf sie zutraf.
Sie hatte mit viel Mühe einen der höheren Berge erklommen und war auf den Weg dorthin mehrmals nur knapp den reichlich vorhandenen bedrohlichen Lebewesen dieser unwirtlichen Landschaft entkommen. Nur langsam konnte sie nun das Gefühl permanenter Angst abschütteln, welches den kleinen Körper fest im Griff gehabt hatte.
Das leise Kratzen von krallenbewehrten Füßen auf Stein ließ sie ihren Blick vom Himmel endgültig lösen. Ein Lächeln huschte über ihre vollen Lippen und sie streckte ihre kleinen Finger nach den schwarz glänzenden Schuppen ihres Begleiters aus. Der winzige Drache gab ein leises Knurren bei der Berührung von sich, welches jedoch keineswegs bedrohlich klang sondern eher an das missglückte Schnurren einer Katze erinnerte. "Danke" flüsterte sie der Echse leise zu, welche nochmal ein gutes Stück kleiner war als sie selbst. Dennoch konnte das Tier eine Menge Aufsehen erregen, und so bisher jegliche Verfolger von dem zierlichen Menschenkind abwenden. Ein Umstand, der jenen verlorenen Lebensfunken effektiv erhalten konnte, zumindest vorerst.
Eine Welle von Hilflosigkeit überkam das Mädchen. Ihre Erinnerungen waren getrübt, als hätte sich eine schwere hölzerne Tür in ihrem Verstand verschlossen um sie vor all dem zu schützen, was dahinter lauerte. Darum reduzierte sich die Hilflosigkeit allein auf die normalen menschlichen Grundbedürfnisse: essen, trinken, schlafen. Und leben... Irgendwie überleben, vorankommen, nur fort. Weit, weit weg, irgendwo dort hin, zum Horizont, in eine hoffentlich gastfreundlichere Welt. Eine die schützende Hände über sie breiten würde, so wie es ihren halben Dutzend Lebensjahren angemessen war.
Wieder glomm das Lächeln auf ihren Lippen auf und erreichte diesmal auch die dunklen Augen. Den Geist gehüllt in dieses künstlich heraufbeschworene, aber nichtsdestotrotz wohlig warme Gefühl bettete sie ihren Kopf auf einen Ellenbogen und rückte auf den harten Stein eine Weile hin und her, ehe sie eine bequeme Liegeposition gefunden hatte. Der kleine Drache rollte sich direkt neben ihr zusammen und schmiegte sich an den warmen menschlichen Körper. Die schwarzen Knopfaugen blieben jedoch offen, ruckten hin und her, und würden nicht vor dem Morgengrauen ruhen. Ein stiller Wächter schlief nunmal nicht...