Edgars Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er durch die Hintertür das Zimmer seines Schützlings betrat. Catrinas Habseligkeiten befanden sich alle in schweren ledernen Koffern. Mit hängenden Schultern saß das Mädchen da und kam Edgar in dem kahlen Raum ganz verloren vor.
Eigentlich, so dachte er, war sie doch schon gar kein Mädchen mehr. Trotzdem war es viel zu früh. Er machte sich mit einem Räuspern bemerkbar. Catrina sprang auf und flog ihm in die Arme. Väterlich strich er ihr über den goldblonden, glatten Haarshopf. „Schhh...“, machte er. „Wein nicht Liebes. Ich werde dich begleiten und auf dich acht geben.“ Sie nickte nur stumm an seiner Brust. Was für ein schrecklicher Plan, das Kind so früh zu verheiraten. Edgar hatte die geschäftlichen Entscheidungen seines Herrn selten in Frage gestellt und seien sie noch so kaltherzig gewesen. Diesmal war er jedoch zu weit gegangen. Wenigstens war es gelungen, ihn davon zu überzeugen die arme Catrina als ihr Leibdiener zu begleiten zu dürfen. Für einen alten Mann gab es ohnehin keine Verwendung mehr auf dem Anwesen. Er konnte sich noch an den Tag von Catrinas Geburt erinnern. Die Herrin war dabei verstorben und Evelyn, seine eigene Frau, hatte zwei Tage zuvor eine Totgeburt gehabt. So hatte der Herr sein Kind in ihre Obhut gegeben. Anstelle des Gesindehauses bezog die kleine Familie eine eigene Hütte am Rande des Anwesens und bis auf sporadische Besuche gab es für das Mädchen kaum Kontakt zum leiblichen Vater. Evelyn glaubte zu wissen, der Graf gebe dem Baby die Schuld am Tod seiner Frau. Vielleicht stimmte es aber Edgar war das egal. Sie lebten sehr zufrieden, bis vor vier Jahren schließlich auch Evelyn an einem Fieber starb.
Vor wenigen Monaten sprach sich herum, Graf Winter habe ein großes Vermögen in etwas investiert und verloren. Für eine große Summe Geld versprach er Catrinas Hand dem Sohn eines früheren Geschäftspartners.
Heute war der Tag der Abreise da und Edgar war gekommen um die Koffer zu holen, denn in der Eingangshalle wartete ein Stallknecht. Man hatte ihn damit betraut Catrina abzuholen. Ihr zukünftiger Gemahl sei verhindert, teilte der Bursche mit. Vielleicht war es besser so. Der lieblose Abschied aus dem Elternhaus war genug für einen Tag um es zu verkraften. Die viertägige Reise wollte Edgar nutzen, um Catrina zu trösten und auf die bevorstehende Hochzeit vorzubereiten. An eine Flucht hatte er viele Male gedacht. Wie traurig, dass er viel zu gebrechlich war, um die beiden Soldaten zu überwältigen, die neben der Kutsche her ritten.
Am Himmel ging eine Sonne auf, die auf Catrina den Eindruck machte als gehöre sie zu einer fremden Welt wie alles hier. Die Menschen sprachen mit einer seltsamen Betonung, der Geruch der Stadt war ihr unangenehm, nicht einmal das teure Kleid mochte sie an sich sehen. Dabei stand es ihr ausgezeichnet. Sie selbst war es gewesen, die den hübschen hellgrünen Seidenstoff ausgesucht hatte. Dass sie unter dem Kleid ein Korsett anziehen sollte hatte man ihr vorher nicht gesagt. Um ihren Hals trug sie nun schweres Gold. Sie konnte es nicht leiden, von diesem dekadenten Schund erdrückt zu werden. An ihrem Hinterkopf rupften die Hände einer unbarmherzigen Magd die Frisur zurecht, die Catrinas Augen schmaler werden ließ, so fest war das Haar gesteckt. Ihr wurde schwindelig, deshalb stand sie einfach auf um ein wenig im Kreis zu gehen. Die Parfumwolke, die dabei um sie herum in Bewegung geriet machte es nur schlimmer. Endlich kam Edgar herein um sie zum Salon zu begleiten. Er lächelte sie aufmunternd an. Den Stolz den er beim Anblick seiner wunderschönen Ziehtochter empfand konnte er nicht verbergen. Catrina seufzte und versuchte, ihm zuliebe eine freundlichere Mine aufzusetzen. „Bist du aufgeregt?“, fragte Edgar. „Der junge Herr wartet schon auf dich.“ Sie nickte nur. Ja, er wartete der junge Herr. Auf seinen neusten Besitz den man poliert hatte wie Tafelsilber, damit der erste Eindruck möglichst gut war. „Er macht einen ganz sympathischen Eindruck. Du musst jedenfalls keine Angst vor ihm haben.“